Pressestimmen

 

Reutlinger Generalanzeiger:
Pfullingen/Eningen/Lichtenstein / 07.09.2004

Reutlinger Generalanzeiger

Wirtshausgeschichte(n) - Vom Gasthaus »Bahnhof/Post« zum »Café Nicklas«. Lichtensteiner Lokalitäten

Vesper für die Werktätigen 

VON GERT LINDEMANN 

LICHTENSTEIN. Mit dem Baubeginn der Eisenbahn im Echaztal im Jahr 1891 wurden in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe Gastwirtschaften zur Versorgung der Reisenden erbaut. Der in Unterhausen hierzu errichtete »Gasthof zum Bahnhof« wurde später in »Bahnhof-Post« umbenannt, weil der damalige Besitzer und Wirt Gottlob Bader (ehemals Lammwirt) auch noch als Postagent tätig war. 

Bader erkannte rasch ein Bedürfnis der damaligen Zeit: Die Werktätigen in den Industriebetrieben im Ort, die zum Teil recht weite Anreisewege in Kauf nahmen, mussten tagsüber und gelegentlich ja auch nach Feierabend versorgt werden, so sie nicht ihre Mahlzeiten und Getränke für einen langen Arbeitstag von Zuhause mitbrachten. 
     Baders Frau Mathilde erhielt am 11. März 1903 die »Erlaubnis zum Ausschank von Bier an die in der Fa. Carl Burkhardt daselbst angestellten Arbeitern und Angestellten in Geb. Nr. 90«. Am 2. Januar 1922 erhält Sohn Hermann die Erlaubnis zum Führen der Gastwirtschaft im Gebäude Nr. 10 in der Wilhelmstraße: »2 Zimmer EG, 2 Zimmer 1. Stock, 2 Fremdenzimmer und Gartenhaus, Ausschank von Getränken aller Art, Beherbergung.«

Das Gasthaus »Gasthof zum Bahnhof« später »Café Nicklas«. Aufnahme aus dem Jahr 1937 Photo: Archiv GHV
Das Gasthaus »Bahnhof-Post« später »Café Nicklas«. Aufnahme aus dem Jahr 1937. FOTO: PR

Nachlass-Auseinandersetzung

Gottlob Baders Witwe Mathilde führte nach dessen Tod den Wirtschaftsbetrieb weiter. Die Erlaubnisurkunde vom 6. Juni 1928 enthält jedoch den Zusatz: »Die Erlaubnis ist in vorübergehender Weise, bis zur Erledigung der Nachlassauseinandersetzung des verstorbenen Sohnes Hermann Bader, erteilt worden.« Auch ihre Schwägerin, die Tochter des Erbauers, Mina Haas, geborene Bader, wird am 30. Juni 1931 als Wirtschaftsberechtigte genannt. Am 24. September 1936 übernimmt der Pfullinger Traube-Wirt Albert Erbe die Pacht.
     Aus der Genehmigungsurkunde für »2 Räume EG, 1 kleiner Saal und 1 Nebenzimmer im 1. Stock, Wirtschaftsgarten, 1 Fremdenzimmer im 1. Stock, Wein, Bier, Obstmost, Branntwein, nichtgeistige Getränke jeder Art« geht auch hervor, dass sich der Straßennamen geändert hatte. Aus der Wilhelmstraße wurde die Hindenburgstraße.

     Nach dem Verkauf des Gebäudes im Jahre 1938 an die Brauerei Bräuchle in Metzingen blieb Albert Erbe bis zum Jahre 1949 Pächter der »Bahnhof-Post«. Die Spezialitäten des Hauses war damals Rostbraten mit Röstkartoffeln (so genannten Ecken). Zum Ausschank kamen - Erbe lagerte seinen Wein in Fässern - offene Weine, die stilvoll in Karaffen gereicht wurden.

     Ende der 30er Jahre war in der »Bahnhof-Post« eine Jüdin namens Gertrud beschäftigt, was in dieser Zeit ungewöhnlich war. Während des Krieges von 1939/45 wurde der Keller als öffentlich ausgebauter Luftschutzkeller, mit Notausstiegen und Feldbetten ausgewiesen, in dem die Bevölkerung bei Luftalarm Schutz suchen sollte.

     Auch im Saal des Gasthauses wurden während des Krieges Feldbetten aufgestellt. Diese waren die Schlafgelegenheit der von der Firma Bosch in Stuttgart ausgelagerten und bei der Firma Burkhardt beschäftigten »Boschler«. Nach Kriegsende wurden in der »Bahnhof-Post« Franzosen einquartiert, welche nun die Feldbetten benutzten.

     Von den Amerikanern wurden Kinderspeisungen für die Kinder bei Burkhardt beschäftigten Fremdarbeiter veranlasst, die in der Küche der »Bahnhof-Post« von Lisette Erbe zubereitet wurden. Jedes Jahr zu Pfingsten, wenn die Besucher zur Nebelhöhle strömten, war auch am Kiosk Hochbetrieb. Hier wurden hauptsächlich nichtalkoholische Getränke und so genannte »Durststiller« verkauft. Die älteren Lichtensteiner mögen sich auch noch an die Mohrenköpfe, Veilchenpastillen, Drops, Waffelbruch und Bärendreck erinnern, die im Kiosk angeboten wurden.

     In der Erbe-Ära war die »Bahnhof-Post« ein sehr musikalisches Haus. Der Wirt Albert Erbe beherrschte mehrere Instrumente. Sehr oft gab es auch spontane Tanzveranstaltungen.

     Hauspianist und Gast Hannes Schröder spielte mit seinen Mannen auf. Besonders sonntags, nach gewonnenen Handballspielen des TVU - Albert Erbe jun. spielte Handball - wurde in der Wirtschaft viel gesungen, getanzt und musiziert.

Nun Café Nicklas

Am 2. Juli 1949 erhält der neue Besitzer, Bäckermeister Friedrich Nicklas, eine »vorläufige Erlaubnis zum Führen der Gastwirtschaft«, die bereits am 12. August 1949 amtlich bestätigt wird. Wenig später wird die Wirtschaft in »Café Nicklas« umbenannt, während aus der Hindenburg- nun die Friedrich-List-Straße wird.
     Der große Umbau, den Friedrich Nicklas im Jahre 1959 machte, veränderte das Aussehen des Gebäudes enorm: Der Anbau des Cafés mit seinem dominanten Rundbau prägt bis heute das Erscheinungsbild des Gebäudes. Friedrich Nicklas führte den Betrieb unter Mitwirkung seiner Frau, seiner Söhne Fritz und Hartmut und der Schwiegertochter Brunhilde.

     Friedrich Nicklas und seine Frau starben im Jahre 1981. Fritz Nicklas übernahm den Betrieb 1974 bis er ihn im November 1990 aus gesundheitlichen Gründen an den jetzigen Besitzer Hasenfuß verkaufte. Der chinesische Pächter, der das Lokal kurz darauf übernahm, hatte wohl übersehen, dass die Zeit in Unterhausen noch nicht reif war für »Chinese food«. Eine durchweg glücklichere Hand im Umgang mit den nicht immer einfachen »Hausemern« bewies dann die Familie Neretljak, die die Wirtschaft seit 1991 als »Steak House Nicklas« mit großem Erfolg führt.

     Sie servieren jugoslawische Spezialitäten und Steaks. Mit den herzhaften Bratkartoffeln ist Wirt »Pejo« damit der Tradition des Hauses treu geblieben.

Kolonialwaren aus der »Post«

Eine besondere Begebenheit, die die »Bahnhof-Post« nur indirekt betraf, ereignete sich am 2. März 1944: Während eines Bombenangriffes »kam von der südöstlichen Richtung ein deutsches, führerloses Flugzeug« ins Tal geflogen und stürzte in Oberhausen ab, wobei die Gebäude Friedrich-List-Straße Nr. 15, 17 und 19 beschädigt wurden.
     Das Gebäude Nr. 17 ist am schwersten betroffen. Das Flugzeug war in einen Luftkampf verwickelt gewesen, in dessen Verlauf »eine große Anzahl Brandbomben« auf Oberhausen und Honau niederging. Der Funker konnte sich mit dem Fallschirm retten, der Pilot fand den Tod.

     Beim Absturz wurde der Giebel des Hauses 19 (Bäckerei Reiff) abgerissen, der Flugzeugrumpf bohrte sich jedoch in das nebenstehende Gebäude (Nr. 17) von Uhrmacher Wick und in das angebaute Wohnhaus (Nr. 15), in dem sich der Einzelhandels- und Kolonialwarenladen von K. Wörner befand.

     Während der eineinhalbjährigen Instandsetzung des Hauses wurde der Verkauf von K. Wörner im Nebenzimmer der »Bahnhof-Post« abgewickelt. In den wieder aufgebauten Häuser wurden später Ladengeschäfte eingerichtet. So befindet sich im Haus Friederich-List-Straße 17 ein Blumengeschäft. (GEA)

Kriegsspuren: Die Zerstörungen durch ein abgeschossenes Flugzeug. emptypixel.gif (43 Byte) Kriegsspuren: Die Zerstörungen durch ein abgeschossenes Flugzeug.
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