Wirtshausgeschichte(n) - Als noch Pferde und Ochsen die Zecher
sicher nach Hause brachten. Auftakt einer losen Folge über die Lokalitäten Lichtensteins
Mit fließend Wasser
VON GERT LINDEMANN
LICHTENSTEIN. Die Sammlung des Lichtensteiner
Geschichts- und Heimat vereins kann sich sehen lassen. Sein Archiv umfasst inzwischen weit
über 1 000 Fotos. Hinzu kommen zahlreiche Dokumente, Akten und anderers. Sein Umfang ist
nicht zuletzt den fleißigen Recherchen von Wilhelm Reiff, Gemeindearchivar und Mitglied
im Geschichtsverein zu verdanken.
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Gestandene
Wirtsleute wie Christian Tröster jun. (Mitte), er führte den Holzelfinger Adler von 1921
bis 1944, mit seinen Söhnen Hugo (links), Richard (Adlerwirt von 1944 bis 1981) und Otto,
sind Teil der Wirtshausgeschichten. FOTO: PR |
Aus diesem Fundus haben die Aktiven des Geschichtsvereins
Werner Vöhringer (Vorsitzender), Günther Frick, (Stellvertreter) Gert Lindemann
(Schreiber), Winfried Reiff (Reproexperte) und Willy Hohloch (Kalligraphie) eine Arbeit
über das Lichtensteiner Wirtschaftsgewerbe zusammengestellt, das die historische
Stationen der hiesigen Lokalitäten beleuchtet und mit Ihrem Erscheinungsbild in heutiger
Zeit vergleicht.
Gemeindearchivar Reiff hat durch intensives Quellenstudium in den
Gemeindeakten wesentlich zur Aufklärung beigetragen. Als besonders ergiebig erwiesen sich
dabei die Bau- und Gebäudekataster, Gebäudebrandversicherungsprotokolle,
Gewerbesteuerunterlagen, Gewerbe-Anzeigen sowie Erlaubnisurkunden der Alt-Registratur mit
denen sich die Chroniken der Häuser zum Teil bis Anfang 1800 zurückverfolgen ließen.
Ananas mit Sahne
Fotos, zum Teil aus privater Hand, Postkarten und
ehemalige Werbeprospekte, Besitzurkunden, Schanklizenzen und Umsatzsteuererklärungen der
heute Hotel, Gasthof und Café genannten Unternehmen, halfen ebenfalls weiter, eine Zeit
nachzuzeichnen, in der ein Viertele Rotwein zwischen neunzig Pfennig und zwei Mark, ein
Wiener Rostbraten genau drei, warmer Leberkäse eine Mark und Ananas mit Sahne sechzig
Pfennig kosteten.
Nicht zu vergessen die Prominenz, die in den Gasthöfen
Lichtensteins abstieg: Neben der deutschen Fußball-Nationalmannschaft fand einst auch
Tenor Rudolf Schock den Weg in das Albhotel Traifelberg. Mit John Shalikashvili durfte das
Hotel »Adler« in Honau sogar den Stabschef des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton
bewirten, als dieser kurz vor seiner Ernennung, hohe NATO-Offiziere zu einem
Abschieds-Gala-Diner ins Ländle einlud.
Die Hälfte ist verschwunden
Nicht nur den müden Reisenden beherbergten die Gasthöfe
von damals. Wo heute Benzinkarossen parken, wurden früher Ochsen und Pferde versorgt. Und
anders als in heutiger Zeit hat früher so manches brave Pferdegespann seinen Kutscher
nach durchzechter Nacht sicher nach Hause geleitet. Und noch genauso wie damals wird in
den heutigen Wirtshäusern an der Ortspolitik mitgestrickt. Insgesamt wurden in den
Lichtensteiner Teilorten 36 Gasthäuser und Wirtschaften ermittelt. Von den heutzutage
noch bewirtschafteten 20 Lokalen haben 16 eine geschichtliche Tradition, die zum Teil bis
Anfang 1800 zurückverfolgt werden konnte. Vier sind neu hinzugekommen. 15 der
ursprünglich 32 geschichtsträchtigen Häuser existieren heute nicht mehr. Das
Gaststätten- und Unterkunftsverzeichnis der Gemeinde Unterhausen verzeichnet Anfang der
60er Jahre 14 Betriebe mit rund 950 Sitzplätzen. Davon boten zehn Gasthöfe
Übernachtungsmöglichkeiten mit insgesamt 57 Betten an, wobei es in den meisten Fällen
bereits »fließend Wasser« gab. Ein »Bad im Hause« wurde hingegen nur in den drei
größeren Häusern der Gemeinde (Krone, Stern und Bahnhof Honau) angeboten.
Mit Liegewiese
Als damals größtes Haus hatte allein die Krone von Karl
Reiff 20 Betten und 200 Gastplätze. Als werbewirksam wurde damals »Diätküche,
Liegewiese/Garten und Metzgerei« gesehen, die die Besucher anlocken sollten. Ein Zimmer
kostete durchschnittlich acht Mark pro Tag, das Frühstück wurde mit 1,80 Mark berechnet,
für ein Mittag- oder Abendessen wurden zwischen drei und vier Mark zu Buche geschlagen.
Heute beherbergen nur noch sechs Lichtensteiner Häuser Besucher,
allerdings hat sich die Bettenzahl vor allem nach dem Ausbau der Honauer Betriebe
»Adler« und »Rößle« auf weit über zweihundert erhöht. (GEA) |