Wirtshausgeschichte(n) - Vom Gasthaus »Bahnhof/Post«
zum »Café
Nicklas«.
Lichtensteiner Lokalitäten
Vesper für die Werktätigen
VON
GERT LINDEMANN
LICHTENSTEIN.
Mit dem Baubeginn der Eisenbahn im Echaztal im Jahr 1891 wurden in
unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe Gastwirtschaften zur Versorgung der
Reisenden erbaut. Der in Unterhausen hierzu errichtete »Gasthof zum
Bahnhof« wurde später in »Bahnhof-Post« umbenannt, weil der damalige
Besitzer und Wirt Gottlob Bader (ehemals Lammwirt) auch noch als Postagent
tätig war.
Bader erkannte
rasch ein Bedürfnis der damaligen Zeit: Die Werktätigen in den
Industriebetrieben im Ort, die zum Teil recht weite Anreisewege in Kauf
nahmen, mussten tagsüber und gelegentlich ja auch nach Feierabend
versorgt werden, so sie nicht ihre Mahlzeiten und Getränke für einen
langen Arbeitstag von Zuhause mitbrachten.
Baders Frau Mathilde erhielt am 11. März 1903
die »Erlaubnis zum Ausschank von Bier an die in der Fa. Carl Burkhardt
daselbst angestellten Arbeitern und Angestellten in Geb. Nr. 90«. Am 2.
Januar 1922 erhält Sohn Hermann die Erlaubnis zum Führen der
Gastwirtschaft im Gebäude Nr. 10 in der Wilhelmstraße: »2 Zimmer EG, 2
Zimmer 1. Stock, 2 Fremdenzimmer und Gartenhaus, Ausschank von Getränken
aller Art, Beherbergung.«
![Das Gasthaus »Gasthof zum Bahnhof« später »Café Nicklas«. Aufnahme aus dem Jahr 1937 Photo: Archiv GHV](Pressestimmen_GEA_2004_09_07_Nicklas_1.jpg) |
Das Gasthaus »Bahnhof-Post«
später »Café
Nicklas«. Aufnahme aus dem Jahr 1937.
FOTO: PR |
Nachlass-Auseinandersetzung
Gottlob Baders
Witwe Mathilde führte nach dessen Tod den Wirtschaftsbetrieb weiter. Die
Erlaubnisurkunde vom 6. Juni 1928 enthält jedoch den Zusatz: »Die
Erlaubnis ist in vorübergehender Weise, bis zur Erledigung der
Nachlassauseinandersetzung des verstorbenen Sohnes Hermann Bader, erteilt
worden.« Auch ihre Schwägerin, die Tochter des Erbauers, Mina Haas,
geborene Bader, wird am 30. Juni 1931 als Wirtschaftsberechtigte genannt.
Am 24. September 1936 übernimmt der Pfullinger Traube-Wirt Albert Erbe
die Pacht.
Aus der Genehmigungsurkunde für »2 Räume EG, 1
kleiner Saal und 1 Nebenzimmer im 1. Stock, Wirtschaftsgarten, 1
Fremdenzimmer im 1. Stock, Wein, Bier, Obstmost, Branntwein, nichtgeistige
Getränke jeder Art« geht auch hervor, dass sich der Straßennamen geändert
hatte. Aus der Wilhelmstraße wurde die Hindenburgstraße.
Nach dem Verkauf des Gebäudes im Jahre 1938 an
die Brauerei Bräuchle in Metzingen blieb Albert Erbe bis zum Jahre 1949 Pächter
der »Bahnhof-Post«. Die Spezialitäten des Hauses war damals Rostbraten
mit Röstkartoffeln (so genannten Ecken). Zum Ausschank kamen - Erbe
lagerte seinen Wein in Fässern - offene Weine, die stilvoll in Karaffen
gereicht wurden.
Ende der 30er Jahre war in der »Bahnhof-Post«
eine Jüdin namens Gertrud beschäftigt, was in dieser Zeit ungewöhnlich
war. Während des Krieges von 1939/45 wurde der Keller als öffentlich
ausgebauter Luftschutzkeller, mit Notausstiegen und Feldbetten
ausgewiesen, in dem die Bevölkerung bei Luftalarm Schutz suchen sollte.
Auch im Saal des Gasthauses wurden während des
Krieges Feldbetten aufgestellt. Diese waren die Schlafgelegenheit der von
der Firma Bosch in Stuttgart ausgelagerten und bei der Firma Burkhardt
beschäftigten »Boschler«. Nach Kriegsende wurden in der »Bahnhof-Post«
Franzosen einquartiert, welche nun die Feldbetten benutzten.
Von den Amerikanern wurden Kinderspeisungen für
die Kinder bei Burkhardt beschäftigten Fremdarbeiter veranlasst, die in
der Küche der »Bahnhof-Post« von Lisette Erbe zubereitet wurden. Jedes
Jahr zu Pfingsten, wenn die Besucher zur Nebelhöhle strömten, war auch
am Kiosk Hochbetrieb. Hier wurden hauptsächlich nichtalkoholische Getränke
und so genannte »Durststiller« verkauft. Die älteren Lichtensteiner mögen
sich auch noch an die Mohrenköpfe, Veilchenpastillen, Drops, Waffelbruch
und Bärendreck erinnern, die im Kiosk angeboten wurden.
In der Erbe-Ära war die »Bahnhof-Post« ein
sehr musikalisches Haus. Der Wirt Albert Erbe beherrschte mehrere
Instrumente. Sehr oft gab es auch spontane Tanzveranstaltungen.
Hauspianist und Gast Hannes Schröder spielte mit
seinen Mannen auf. Besonders sonntags, nach gewonnenen Handballspielen des
TVU - Albert Erbe jun. spielte Handball - wurde in der Wirtschaft viel
gesungen, getanzt und musiziert.
Nun Café Nicklas
Am 2. Juli 1949
erhält der neue Besitzer, Bäckermeister Friedrich Nicklas, eine »vorläufige
Erlaubnis zum Führen der Gastwirtschaft«, die bereits am 12. August 1949
amtlich bestätigt wird. Wenig später wird die Wirtschaft in »Café
Nicklas« umbenannt, während aus der Hindenburg- nun die
Friedrich-List-Straße wird.
Der große Umbau, den Friedrich Nicklas im Jahre
1959 machte, veränderte das Aussehen des Gebäudes enorm: Der Anbau des
Cafés mit seinem dominanten Rundbau prägt bis heute das Erscheinungsbild
des Gebäudes. Friedrich Nicklas führte den Betrieb unter Mitwirkung
seiner Frau, seiner Söhne Fritz und Hartmut und der Schwiegertochter
Brunhilde.
Friedrich Nicklas und seine Frau starben im Jahre
1981. Fritz Nicklas übernahm den Betrieb 1974 bis er ihn im November 1990
aus gesundheitlichen Gründen an den jetzigen Besitzer Hasenfuß
verkaufte. Der chinesische Pächter, der das Lokal kurz darauf übernahm,
hatte wohl übersehen, dass die Zeit in Unterhausen noch nicht reif war für
»Chinese food«. Eine durchweg glücklichere Hand im Umgang mit den nicht
immer einfachen »Hausemern« bewies dann die Familie Neretljak, die die
Wirtschaft seit 1991 als »Steak House Nicklas« mit großem Erfolg führt.
Sie servieren jugoslawische Spezialitäten und
Steaks. Mit den herzhaften Bratkartoffeln ist Wirt »Pejo« damit der
Tradition des Hauses treu geblieben.
Kolonialwaren aus der
»Post«
Eine besondere
Begebenheit, die die »Bahnhof-Post« nur indirekt betraf, ereignete sich
am 2. März 1944: Während eines Bombenangriffes »kam von der südöstlichen
Richtung ein deutsches, führerloses Flugzeug« ins Tal geflogen und stürzte
in Oberhausen ab, wobei die Gebäude Friedrich-List-Straße Nr. 15, 17 und
19 beschädigt wurden.
Das Gebäude Nr. 17 ist am schwersten betroffen.
Das Flugzeug war in einen Luftkampf verwickelt gewesen, in dessen Verlauf
»eine große Anzahl Brandbomben« auf Oberhausen und Honau niederging.
Der Funker konnte sich mit dem Fallschirm retten, der Pilot fand den Tod.
Beim Absturz wurde der Giebel des Hauses 19 (Bäckerei
Reiff) abgerissen, der Flugzeugrumpf bohrte sich jedoch in das
nebenstehende Gebäude (Nr. 17) von Uhrmacher Wick und in das angebaute
Wohnhaus (Nr. 15), in dem sich der Einzelhandels- und Kolonialwarenladen
von K. Wörner befand.
Während der eineinhalbjährigen Instandsetzung
des Hauses wurde der Verkauf von K. Wörner im Nebenzimmer der »Bahnhof-Post«
abgewickelt. In den wieder aufgebauten Häuser wurden später Ladengeschäfte
eingerichtet. So befindet sich im Haus Friederich-List-Straße 17 ein
Blumengeschäft. (GEA)
![Kriegsspuren: Die Zerstörungen durch ein abgeschossenes Flugzeug.](Pressestimmen_GEA_2004_09_07_Nicklas_2.jpg) |
![emptypixel.gif (43 Byte)](emptypixel.gif) |
Kriegsspuren:
Die Zerstörungen durch ein abgeschossenes Flugzeug. |
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