Pressestimmen

 

Reutlinger Generalanzeiger:
Pfullingen/Eningen/Lichtenstein / 11.11.2021

Archäologie - Der Tübinger Historiker Michael Kienzle spricht über das Burgensystem im oberen Echaztal

Auf der Spur der Greifensteiner

VON GERT LINDEMANN


LICHTENSTEIN. »Burgenbauer, Raubritter, Klostergründer?« lautete der Titel des Vortrags, den der Tübinger Historiker Michael Kienzle vor Kurzem beim Geschichts- und Heimatverein Lichtenstein hielt. Er berichtete über neue Forschungen zur Archäologie und Geschichte der Herren vom Greifenstein.

Archäologe Michael Kienzle (Mitte) mit Bürgermeister Peter Nußbaum, Vorsitzender (rechts) und Günther Frick, stellvertretender Vorsitzender (links) des Geschichts- und Heimatvereins Lichtenstein. FOTO: Archiv GHV

Lebendig legte Kienzle dar, dass das Greifensteiner Burgensystem weiter verzweigt war, als bisher angenommen. Nur Weniges ist urkundlich belegt. So beginnt die Ära der Greifensteiner im Jahr 1187 mit der Nennung eines Berthold vom Greifenstein, dessen Herkunft jedoch unbekannt ist. Auch das Ende der Herrschaft der Greifensteiner im Jahre 1355 ist urkundlich benannt: Ein »Swigger vom Greifenstein« verkaufte seinerzeit »Burg, Dörfer, Wälder und Wasser ...« an die Württemberger. Die überlieferte Zerstörung der Stammburg durch die Reutlinger im Jahr 1311 gilt aufgrund zahlreicher archäologischer Funde als wahrscheinlich.

Wertig ausgestattet

Außer der bekannten Ruine des »Oberen Greifensteins« sind weitere Anlagen nicht mehr oder - wie im Fall des »Unteren Greifensteins« - nur mit einem archäologisch geschulten Auge zu erkennen. Kienzle erwähnte eine von der Lokalforschung diskutierte Burg »Hohenpfullingen« auf dem Urselberg, den »Burgstein«, die Burgstelle »Stahleck« und eine geistliche Niederlassung am »Brudersteig« im Zellertal. Die Frage, ob der angeblich um 1250 errichtete Turm der Johanneskirche mit der von 1285 stammenden Wehrmauer zu einem solchen Burgensystem zählen oder lediglich als Schutz für die Bevölkerung gedacht waren, ist noch unklar.

Nachdem bereits Mauerreste und Funde von Gebrauchsgegenständen aus dem 14. Jahrhundert am »Unteren Greifenstein« dokumentiert wurden, liegt der Fokus der archäologischen Suche aktuell auf »Brudersteig« und »Stahleck«. In beiden Fällen belegen Bodenradar-Analysen, dass die Anlagen größer gewesen sein müssen, als ursprünglich vermutet. Insbesondere die Grabungen am Brudersteig - auch »Brudergärtle« genannt - legten Reste von massiven Steinmauern mit einer Dicke von einem Meter frei.

Dort kamen Fundstücke wie Dachziegel, Ofenkacheln, aber auch Wasserleitungsreste zutage. Sie belegen, dass die Anlage eine Drainage oder Kanalisierung der drei örtlichen Quellen beinhaltete. Der Rest einer Grundmauer mit halbrunder, nach Osten gerichteter Ausprägung lässt auf ein Sakralgebäude, vielleicht eine Kapelle, schließen. Nicht zuletzt deuten Fensterglasfunde auf ein wertiger ausgestattetes Anwesen hin.

Eine ähnliche Ausgangssituation ergab sich nach den Bodenradarauswertungen bei der Burgstelle »Stahleck«, an der oberflächlich - außer dem Burggraben - zunächst wenig von einer Burg sichtbar war. Freigelegte Mauerreste belegen die Existenz eines zehn Mal zehn Meter großen Hauptgebäudes und eine 1,8 Meter starke Umfassungsmauer. Funde im Vorhof deuten auf ein Fachwerkgebäude hin, das durch einen Brand zerstört wurde.

Als Arbeitshypothese kann von einem Zusammenhang zwischen der nachgewiesenen Zerstörung der Greifensteiner, Lichtensteiner und Trochtelfinger Burgen durch die Reutlinger im Reichskrieg gegen die Württemberger in den Jahren 1311/12 und einer möglichen Zerstörung Stahlecks und vielleicht sogar der Anlage am Brudersteig ausgegangen werden.

Breite Unterstützung

Michael Kienzle und seinem Team geht es jetzt darum, die gewonnenen Erkenntnisse allen zugänglich zu machen, zumal das Projekt bereits auf einem breiten Fundament an Unterstützern steht: Neben dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Uni Tübingen zeigen verschiedene Stellen der öffentlichen Hand, Gemeinden; Vereine bis hin zur Familie von Urach durch finanzielle oder materielle Beteiligungen ihr Interesse. Ziel ist es, das Burgensystem und seine Bedeutung für jene Zeit auf einer eigenen Homepage, in Buchform, in Sonderausstellungen - auch virtuell -, bei Themenwanderungen, mit Schildern sowie in Vorträgen auf Fachtagungen darzustellen. Für das obere Echaztal könnten die inzwischen gewonnen Erkenntnisse zum kleinräumigen Burgensystem und zu der fast vollständig vergessenen geistlichen Anlage ein Alleinstellungsmerkmal sein.

Die Zuhörer bedankten sich für den mitreißenden Vortrag mit kräftigem Applaus. Die Zusage des Geschichts- und Heimatvereins sowie der Gemeinde Lichtenstein, die Arbeiten finanziell zu unterstützen, spornen Kienzle und sein Team an, die Spurensuche fortzusetzen. (GEA)

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